Denn in gewisser Weise ist dieses B?hlerst?dt eine ostdeutsche Muster-Kleinstadt, abseits der Autobahnen gelegen und damit auch ziemlich abgeh?ngt in der wirtschaftlichen Entwicklung. Auch Anja, die die Drogerie am Ort betreibt, kommt schnell in finanzielle N?te, wenn ein/-e Dieb/-in st?ndig teure Parfums klaut. Und ein blaues Mountainbike f?r die Jungs f?r 599 Euro ist f?r die Eltern von Paul genauso ein finanzieller Kraftakt wie f?r Benjamins Oma. Was die Sache erst recht dramatisch macht, als beiden Jungen das frischgeschenkte Mountainbike vom Schulhof geklaut wird.
Aber da ist ja der clevere Anton, der grosse Bruder von Trixi, der schon in der 4. Klasse weiss, dass er sp?ter mal Kriminalkommissar werden m?chte. Und das nicht einfach nur, weil er Detektivgeschichten so spannend findet: Er ist selbst schon ein kleiner Sherlock Holmes, dem es richtig Spass macht, vertrackte F?lle zu l?sen und nichtsahnenden Gaunern richtige Fallen zu stellen. Wozu es in U. S. Levins Buch jede Menge Gelegenheit hat.
Eigentlich ist der in Markkleeberg lebende Levin eher der Spezialist f?r Satiren, Humoresken und Glossen. Aber 2016 hat er schon mal ein Jugendbuch ver?ffentlicht: "Lars und die geheimnisvolle W?nschefliege". Dies hier ist jetzt sein zweites. Und es steckt auch so ein bisschen Ansporn drin von seinem Leipziger Autorenkollegen Frank Kreisler, der in der Geschichte "Der verlorene Zehner" sogar pers?nlich auftreten darf in einer seiner Lieblingsrollen: als ?ber die Lande tourender Schriftsteller, der in den Schulen ganze Klassen zum Johlen und Mitfiebern bringen darf.
Etwas, was die Corona-Pandemie ja auch praktisch unm?glich gemacht hat. Und dabei wissen Lehrer/-innen nur zu gut, wie sehr eine solche leibhaftige Lesung mit einem echten Schriftsteller bei vielen Kindern den Funken ?berspringen l?sst. Manche werden dadurch tats?chlich erst zu kleinen Leseratten.
Auch weil Autoren wie Kreisler nat?rlich geb?bt sind im kindgerechten Geschichtenerz?hlen. So wie zuletzt in seinem 2018 ver?ffentlichten Buch "Wie ein kopfloses Skelett seinen Sch?del wiederfand". Es gibt einfach bestimmte Geschichten, die bei jungen Leser/-innen besonders gut ankommen. Und Gespenstergeschichten geh?ren genauso dazu wie flotte Detektivgeschichten, in denen die Ganoven tats?chlich von cleveren kleinen Jungen und M?dchen aufgesp?rt werden. Gern mit eigenem Gruselfaktor, wo doch jeder weiss, dass Mama und Papa recht haben, wenn sie ihren Kindern solche Alleing?nge verbieten.
Denn eines wird auch U. S. Levin zugeben m?ssen: Es wird f?r die Kinder mehrmals brandgef?hrlich, denn sie bekommen es eben nicht nur mit eher harmlosen Dieben wie auf dem Wochenmarkt zu tun (wo dem Dieb eine Packung blauer Beine verpasst wird), sondern mit richtig schweren Jungs, die wie in "Einbruch im Museum", "Rettung in letzter Sekunde" und "Eine gef?hrliche Klassenfahrt" nicht z?gern, auch gegen die Kinder handgreiflich zu werden.
Aber meist ist es einfach so, dass die Polizei nicht vor Ort ist oder die Kinder am Notruf abwimmelt. So eine kleine Kritik an der gerade im l?ndlichen Raum heruntergesparten Polizei ist also durchaus drin im Buch, das ansonsten sehr lebendig und farbenfroh geschrieben ist.
B?hlerst?dt ist kein trauriges St?dtchen, wie es so gern in ostdeutschen Kleinst?dten gesehen wird, auch wenn man schon in der Einleitung merkt, dass es doch ein bisschen ins Abseits geraten ist, seit die Arbeiter nicht mehr mit dem Rad jeden Morgen durch den Kurpark ins Industriegel?nde fahren.
Was aber nicht heisst, dass jetzt alle Menschen hier Tr?bsal blasen oder in Wut k?cheln. Tats?chlich sind sie im Umgang sehr freundlich, haben Verst?ndnis f?reinander, gerade dann, wenn sie wissen, wie knapp die anderen immer mit dem Geld sind. Was ja in so einer kleinen Stadt kein Geheimnis bleiben kann. So wenig wie Sebastians Probleme mit dem Lernen. Denn eigentlich ist er eher ein K?nstler und sieht auch das Lernen eher aus k?nstlerischer Sicht, was ihm ausgerechnet in der alles entscheidenden Mathearbeit zum Verh?ngnis zu werden droht.
Aber irgendwie passieren da ein paar seltsame Zuf?lle, die Mathearbeit verschwindet aus der Tasche von Frau Zieselwitz, die nun selbst detektivisches Gesp?r an den Tag legt, um dem Dieb auf die Schliche zu kommen. Denn davon leben ja Detektivgeschichten: Der T?ter muss unbedingt ertappt werden. Auch wenn es am Ende doch nur eine ordentliche Standpauke gibt.
Freilich manchmal auch f?r die Kinder, die in einigen Geschichten sehr riskante Wagnisse eingehen, um die T?ter dingfest zu machen. Braucht das Buch also einen kleinen Beipackzettel? Wohl eher nicht. Kinder wissen sehr wohl zu unterscheiden, wo der Autor seiner Phantasie die Sporen gegeben hat. Und clevere Typen wie Anton mag es in jeder Klasse geben, aber meistens neigen sie nicht dazu, die Sache dann doch so professionell aufzuziehen wie dieser Bursche aus B?hlerst?dt.
Aber den jugendlichen Lesern macht ja genau das Spass: Sich richtig fetzige Abenteuer auszudenken oder zu lesen, in denen es genauso kribbelig zugeht wie in den Krimis der Erwachsenen. Nur nicht ganz so finster und bedrohlich. Denn in echten Kindergeschichten kommt die Rettung immer in letzter Sekunde. Immer. Und die B?sen bekommen ihre Strafpredigt oder werden von der Polizei einkassiert, so wie sich das geh?rt in einer guten Geschichte. Denn Kindergeschichten leben vom unverw?stlichen Glauben der kleinen Leser und Zuh?rer daran, dass auch die heftigsten Abenteuer im Leben immer gut ausgehen und das Gute immer siegt, wenn nur alle zusammenhalten.
Dass das mit dem Zusammenhalt und dem Sieg des Guten nicht ganz so selbstverst?ndlich ist in der Welt der Erwachsenen, das bekommen die Kinder ja sowieso irgendwann mit. Und gerade da brauchen sie so eine Packung Zuversicht auf das Gute im Ranzen. Als Reserve f?r die kommenden Zeiten. Man kann gar nicht genug solcher kurzen, flotten Geschichten lesen ?ber den unbedingten Sieg des Guten, bevor das von den Grossen so gern beschworene "richtige Leben" beginnt, wo die Sache mit Gut und B?se auf einmal ganz seltsame Formen annimmt und die Mehrdeutigkeiten auch das optimistischste Gem?t zur Verzweiflung bringen k?nnen.
Ein Buch f?r abenteuerlustige Jungen und M?dchen, die sich die ?berzeugung noch nicht ausreden lassen, dass Gauner und Spitzbuben am Ende immer ihre Strafe kriegen. Immer.
Ralf Julke